Gewohnheitsrecht bei Grundstücken:
Was muss ich als Eigentümer dulden?

„Aber das war doch schon immer so, das haben wir seit jeher so gemacht.“ So oder so ähnlich beginnen meist Rechtsstreitigkeiten, bei denen sich eine der Parteien auf ihr vermeintliches Gewohnheitsrecht beruft. Doch wo findet das Gewohnheitsrecht heute noch Anwendung und wann gilt es nicht mehr?

Ein Haus, eine Waage und ein Richterhammer als Symbol, was ist das Gewohnheitsrecht?

Definition: Was ist Gewohnheitsrecht?

Vereinfacht gesagt ist Gewohnheitsrecht ein rechtlicher Anspruch, der nicht in einem Gesetzestext verankert ist. Aus diesem Grund ist auch oft vom sogenannten ungeschriebenen Recht die Rede. Gewohnheitsrecht entsteht in der Regel dann, wenn jemand eine Handlung über sehr lange Zeit und in einer gewissen Regelmäßigkeit ausübt.

Stellen Sie sich etwa vor, Sie nutzen bereits seit mehreren Jahrzehnten einen kleinen Zuweg über das Grundstück Ihres Nachbarn und dieser hat das bislang immer geduldet. Nun kommt es zum Streit und Ihr Nachbar verbietet Ihnen, den Zuweg weiter zu nutzen. In diesen und ähnlichen Fällen berufen sich viele Menschen auf Ihr Gewohnheitsrecht. Sie vermuten, dass die langjährige, geduldete Nutzung eine Art Nutzungsrecht durch Gewohnheitsrecht ausgelöst hat und dass der Nachbar dieses Recht nun nicht mehr einfach so entziehen kann.

In den meisten Fällen handelt es sich hierbei jedoch um einen Irrglauben. Während das Gewohnheitsrecht früher noch weit verbreitet und anerkannt war, so stellen es Gerichte heute mehr und mehr auf den Prüfstand. Sofern es eine schriftlich festgehaltene, gesetzliche Regelung gibt, geht diese vor. Das ist auch mit den Grundsätzen eines Rechtsstaats vereinbar, denn geltende Rechte und Pflichten müssen allen Bürgern bekannt sein und das sind sie nur, wenn sie an zentraler Stelle – in den Gesetzestexten – nachzulesen sind.

Im obigen Beispiel gibt es diese eindeutige gesetzliche Regelung, denn die Grundstücksgrenzen sind klar definiert: Selbst wenn Sie den Zuweg also seit mehreren Jahrzehnten ungestraft genutzt haben, kann Ihr Nachbar Ihnen dies als Eigentümer des eigenen Grundstücks von heute auf morgen und ohne Angabe von Gründen verbieten.

Wie gehe ich gegen Missbrauch von Gewohnheitsrechten vor?

Beruft sich Ihr Nachbar oder eine andere Person auf ein Gewohnheitsrecht an Ihrem Grundstück, so müssen Sie dies nicht hinnehmen. Im ersten Schritt sollten Sie das Gespräch mit der beteiligten Person suchen und versuchen, eine geeignete Lösung zu finden. Sind die Fronten bereits verhärtet, ist meist fachkundige Unterstützung nötig. Eine professionell geführte Mediation kann dann durchaus zielführend sein. Hierbei handelt es sich um eine konfliktarme, außergerichtliche Streitlösung, bei welcher ein neutraler Mediator die beiden Konfliktparteien dabei unterstützt, gemeinsam einen Kompromiss zu erarbeiten. Hilft auch dies nicht, bleibt oft leider nur der Gang vor Gericht.

Dasselbe gilt im Übrigen auch dann, wenn Sie gerade eben eine Immobilie erworben haben und Ihr neuer Nachbar sich auf ein Gewohnheitsrecht beruft. Echte und anerkannte Gewohnheitsrechte gibt es nur noch selten, weshalb Ihre Erfolgsaussichten gutstehen. Anders verhält es sich hingegen, wenn ein dingliches Recht – etwa ein Fahrt- oder Wegerecht – im Grundbuch eingetragen ist. In diesem Fall müssen Sie das genauso akzeptieren und Sie können Ihrem neuen Nachbarn sein Recht nicht einfach entziehen. Aus diesem Grund ist es wichtig, das Grundbuch noch vor dem Kauf auf etwaige Rechte Dritter zu überprüfen.

Beispiele für Gewohnheitsrecht bei Grundstücken

Nachfolgend finden Sie einige Beispielfälle, in denen sich Menschen häufig auf ein Gewohnheitsrecht berufen.

Wegerecht

Vielleicht ist es unumgänglich, das Nachbargrundstück zu befahren, um zum eigenen Grundstück zu gelangen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur bequemer. In beiden Fällen können Sie sich jedoch nicht auf Ihr Gewohnheitsrecht berufen, selbst wenn Ihr Nachbar Ihre Durchfahrten seit jeher geduldet hat. Wegerechte ergeben sich nicht „aus Gewohnheit“, sondern nur durch vertragliche Vereinbarungen oder die Eintragung im Grundbuch. Sollte es sich um ein Hinterliegergrundstück handeln, welches tatsächlich ausschließlich über ein anderes Grundstück erreichbar ist, dann kann ein Notwegerecht vorliegen, welches gesetzlich verankert ist.

  • Vertragliche Vereinbarung: Sie können jederzeit mit Ihrem Nachbarn einen Vertrag schließen und ein Wegerecht vereinbaren. Hierbei bestimmen Sie selbst, welche Konditionen gelten sollen und ob und unter welchen Bedingungen, der Vertrag gekündigt werden kann. Bedenken Sie dabei jedoch, dass privatrechtliche Verträge immer nur zwischen den jeweiligen Parteien gelten. Bei einem Eigentümerwechsel gilt die Vereinbarung nicht automatisch auch für den neuen Eigentümer.
  • Eintragung im Grundbuch: Ist das Wegerecht im Grundbuch hinterlegt, dann ist es als dingliches Recht direkt an das jeweilige Grundstück gekoppelt. Selbst bei einem Eigentümerwechsel gilt es unverändert weiter.
  • Notwegerecht: Ein Notwegerecht gemäß § 917 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergibt sich dann, wenn es schlicht keine andere Möglichkeit gibt, das hinterliegende Grundstück zu erreichen. Ein Notwegerecht ist in der Regel mit einer finanziellen Entschädigung für den Eigentümer des vorderen Grundstücks verbunden.

In der Vergangenheit beriefen sich viele Menschen auf Ihr Gewohnheitsrecht, wenn sie ein Wegerecht durchsetzen wollten. Mit einem wegweisenden Urteil aus dem Jahr 2020 schob der Bundesgerichtshof (BGH) dieser Praxis jedoch den Riegel vor: Die Karlsruher Richter entschieden, dass ein Wegerecht nicht auf Gewohnheit beruhen kann (Az. V ZR 155/18).

Recht auf Ruhe

Nicht nur Nachbarn oder Eigentümer streiten sich um Gewohnheitsrechte – auch die Stadt selbst kann betroffen sein. Als etwa eine Gemeinde eine Kindertagesstätte mit Platz für 66 Kinder einrichten wollte, beriefen sich die Anwohner auf Ihren gewohnheitsrechlichen Anspruch auf ruhiges Wohnen. Das hessische Verwaltungsgericht stellte sich jedoch auf die Seite der Stadt: Diese habe das Recht darauf, den Bebauungsplan zu ändern und die Bewohner müssen die neue Kindertagesstätte tolerieren. Ein gewohnheitsmäßiges Recht auf Ruhe gebe es nicht (Urteil vom 25. Februar 2017, Az. 3 B 107/07).

Grundstücksgrenze und Überbau

Ragt ein Teil des Nachbarhauses auf Ihr Grundstück, so müssen Sie dies häufig hinnehmen. Voraussetzung dafür ist, dass der Nachbar den Überbau weder grob fahrlässig noch vorsätzlich – also mit Absicht – errichtet hat. Allerdings ist ein Überbau häufig an eine finanzielle Entschädigung geknüpft.

Anders verhält es sich hingegen, wenn Sie noch während oder direkt im Anschluss an die Bauarbeiten Widerspruch gegen den Überbau einlegen. Dann haben Sie Ihrem Unmut klar zum Ausdruck gebracht und der Nachbar muss den Überbau rückgängig machen.

Da die Regelung zur Grundstücksgrenze explizit in § 912 BGB zu finden ist, handelt es sich hier genau genommen nicht um Gewohnheitsrecht. Man könnte höchstens argumentieren, dass die gesetzliche Regelung auf Gewohnheit basiert. Denn aufgrund der langjährigen Duldung des Nachbarn muss der Eigentümer den Überbau nicht rückgängig machen.

Schwarzbau und Bestandsschutz

Wenn Sie in Deutschland bauen wollen, dann benötigen Sie hierfür in aller Regel eine Baugenehmigung. Fehlt diese, droht nicht nur eine hohe Geldbuße, sondern auch der Rückbau auf eigene Kosten. Viele Menschen unterliegen hier jedoch einem Irrtum und nehmen fälschlicherweise an, dass die Baubehörde ihr Recht auf Rückbau durch langjährige Duldung verwirkt. Dem ist jedoch nicht so: Selbst wenn der Schwarzbau erst nach Jahren auffliegt, kann die Baubehörde Sie zum Rückbau auffordern. Anders verhält es sich nur dann, wenn die Baubehörde nachweislich vom Schwarzbau wusste und über längere Zeit nicht tätig wurde. Dann muss gegebenenfalls ein Gericht entscheiden, ob der Schwarzbau bestehen bleiben kann.

Eine offizielle und eindeutig geregelte Ausnahme gibt es jedoch: Steht die Immobilie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und wurde sie dort ohne Baugenehmigung errichtet, dann greift nach 5 Jahren der sogenannte Bestandsschutz. In diesem Fall darf das Haus bleiben.

Fazit: Verlassen Sie sich nie auf vermeintliches Gewohnheitsrecht!

Während Gewohnheitsrecht in der Vergangenheit noch Gang und Gäbe war, findet es heute kaum noch Anwendung. Es gilt die goldene Regel: Geltendes Recht geht über vermeintliches Gewohnheitsrecht. Wollen Sie also beispielsweise ein Wegerecht mit Ihrem Nachbarn vereinbaren oder die geteilte Grundstücksgrenze gemeinschaftlich nutzen, dann sollten Sie dies immer schriftlich festhalten. Schriftliche Vereinbarungen haben vor Gericht Bestand und senken das Konfliktpotenzial enorm.

Bildnachweis: SaiArLawKa2 / Shutterstock.com

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